Der Wiesemannhof im Lichte der Urkunden

Zwischen Antholz/Nieder- und Mittertal schiebt sich vom westlichen gegen den östlichen Berghang, also quer durch das Tal, ein mächtiger, etwa 100 Meter hoher Schuttkegel, der sich in seiner Ausdehnung von der "Aue" in Niedertal bis zum alten Gruberhof in Mittertal erstreckt und den zu überschreiten man einen Weg von gut drei Viertelstunden zurücklegen muss.
Der Unruheherd dieses Schuttgekels liegt teils in den Gründen des Pichl-, zum Großteil aber des Nollbachs, zweier unberechenbarer Wildbäche an der Sonnenseite, die im Laufe der Jahrhunderte gar manches Unheil angerichtet haben.

Das durch die Aufschüttung entstandene Gelände scheint früher aber viel niedriger gewesen zu sein, soll man ja - wie die Leute sagen - vor Zeiten von der Mittertaler bis zur Niedertaler Kirche gesehen haben. Da der Wiesemannhof durch Güssen und Lawinen gefährdet war, hat man das Feuer- und Futterhaus an die einzig geschützte Stelle hart an den Berghang gebaut.
Urlaub auf dem Bauernhof - Der alte Bauernhof

Ob hier bereits schon in uralter Zeit Menschen ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben?

Bei Aushubarbeiten an der Bergseite des Wohnhauses stieß man nämlich etwa in Kellertiefe auf Kohlen, Tonscherben und Knochenreste. Weil man aber damals den Funden keinerlei Beachtung schenkte, kann man heute nicht sagen, aus welcher Zeitepoche diese Überbleibsel herrühren könnten. Wie es scheint, ist das Feuerhaus öfters umgebaut worden. Als man vor einigen Jahrzehnten in der Wohnstube das alte Getäfel herausgenommen hatte, kamen rauchgeschwärzte und rußverpechte Balkenwände sowie ein tiefer gelegener, noch gut erhaltener Fußboden mit einer rechteckigen Öffnung in der Mitte zum Vorschein. Vermutlich stand hier ein offener Herd, der nach Art früherer Rauchküchen den ganzen Raum erwärmte. Beim Grundausheben für ein neues Futterhaus stießen die Arbeiter auf altes Mauerwerk; möglich, dass hier ein Futterhaus standen, das einst von der Mur eingegüßt worden war.
Das Baurecht zu Wiesenmann hat sich durch die Einverleibung anstoßender Güter schon sehr früh zu einem ansehnlichen Bauernhof entwickelt. Er besteht aus dem Ober- und Unterwinkl, dem Widn- und dem Montalgütl mit allen Rechten und Zugehörigkeiten. Die Urzelle dieses Bauerngutes dürfte wohl der Oberwinkl sein, von dem ein Teil vom Nollbach verschüttet und heute nur mehr als Wald und Weite genutzt wird. Dass man dieses vermurte Grundstück, unter welchem eine tiefe Schicht fruchtbarer Ackererde liegt, bis heute noch nicht abgeräumt hat, mag wohl darauf zurückzuführen sein, dass der Wildbach eben an dieser Stelle am längsten seine Schuttmassen abgelagert hat.

Besitzer zu Wiesemann

Dank noch vorhandener Urkunden sind uns die Namen der Besitzer zu Wiesenmann von 1455 bis auf den heutigen Tag lückenlos erhalten geblieben. Was Hans Wiesmann, den letzten Träger dieses Namens, bewogen hat, 1638 Hab und Gut zu veräußern und dafür ein benachtbartes Bauerngut am steilen Berghang, Amblreich oder Ammerer, zu erwerben, darüber ist nichts bekannt.

Valentin Pallhuber, der Käufer und neue Besitzer, stammte vom Wörer in Obertal. Er wurde zum Stammvater eines weitverzweigten Geschlechtes, das sich durch zehn Generationen auf dem Hofe erhalten hat und mit der Erbtochter Maria Pallhuber, die sich mit dem Obermairsohn Peter Oberhauser vermählt hat, erlöschen wird.

Urlaub auf dem Bauernhof - Familie Pallhuber zu Wiesemann
Valentins Sohn und Nachfolger, Michael Pallhuber, ließ 1683 auf einem aufgeschütteten Abraumhütel, etwa einen Büchsenschuß vom Wiesenmannhof entfernt, eine Kapelle bauen, die 1863 durch Josef Pallhuber renoviert wurde. (Auf dem Bild in der ersten Reihe zu sehen, sein Bruder Georg, welcher den Hof nach seinem Tod übernahm.) Die kleine wertvolle Ecce-Homo-Statue (15. Jh.) ist begreiflicherweise geborgen worden. Früher war es Brauch, dass sich die Nachbarn alle Fastensamstage beim Stöckl zu einer Andacht trafen. Zum Wiesenmann gehört auch eine hofeigene Alm mit einem Weiderecht von 17 Rindern.
Im Hochsommer zog der Senn für mehrere Wochen zu den Oberhütten, der früheren Karalm, die um 1542 noch auswärtige Besitzer innehatten. Die Unterhütte ist vor einigen Jahren durch Schneedruck zerstört worden. Auch auf der Wiesenmannalm - so erzählt ein Senner - hätte es eine ganze Woche lang zwischen elf und zwölf Uhr nachts gegeistert. Einmal waren alle Kälber losgekettet, ein anderes Mal hört er wiederholt das Kreischen der Hüttentür, am dritten Tage war es das Weinen eines Kindes auf der "Reme", und noch anderes ging nicht mit rechten Dingen zu. Immer, wenn der Mann sich überzeugen wollte, war der Spuk verschwunden. Seit 1638 Erbhof, hat sich der Stamm der Familie Pallhuber zu Wiesenmann über 300 Jahre bis auf den heutigen Tag erhalten. Morgen wird ein neues Geschlecht das Erbe seiner Väter antreten, seiner Sendung bewusst, das Erbe zu erhalten und zu gestalten und es ungeschmälert wieder an die Nachkommen weiterzugeben.
[Quelle: Der Wiesenmannhof von Antholz im Lichte der Urkunden - v. Hubert Müller]